Als ich erwachte hatte ich unsagbare Schmerzen, eines meiner Augen hing heraus, man hatte es mir ausgeschlagen, es war ausgelaufen und die große Wunde war wie mein ganzer Körper voller Schmutz und Dreck. Mein Kopf schmerzte von den brutalen Schlägen eines großen dicken Knüppels. Blut floss aus meinem Kopf, aus meiner Nase und Schnauze, man hatte mir den Kiefer eingeschlagen und den Jochbogen gebrochen und mein Haarkleid färbte
sich mehr und mehr dunkelrot. Die trockenen Dornen des dichten Gebüsches hinter einer hohen Mauer, in das man mich wie Müll weggeworfen hatte, zerstachen überall meine zarte Haut und bohrten sich tief in die unzähligen Wunden meines kleinen Körpers. Aufstehen konnte ich nicht, denn man hatte mir auch die Vorderbeine zertrümmert, die mich nicht mehr trugen. Ich konnte mich nicht bewegen, meine Rippen schmerzten fürchterlich und um meinen Hals befand
sich ein Strick, der mir fast die Luft zum Atmen nahm. Über mir glitzerten die Sterne in dieser klaren Vollmondnacht und von irgendwo her hörte ich Stimmen, die jedoch so schnell wie sie gekommen waren wieder verstummten.
Ich war allein und die schon unerträglichen Schmerzen wurden immer stärker. Es wurde still und langsam verwandelte sich der Tau auf den Blättern des Gebüsches in kleine glitzernde Eisblumen die umnetzt von meinem Blut rote Spitzen trugen.
Ein eisiger Wind kam auf, es wurde bitterkalt und ich fror fürchterlich. Dann verlor ich wieder das Bewusstsein. Wie lange ich so gelegen hatte weiß ich nicht, als es plötzlich in dem zu Eis erstarrten Büschen hinter dieser großen Mauer raschelte und knisterte. Für kurze Zeit wurde es wieder still und dann knackte und raschelte es erneut. Es war unheimlich. Angst stieg in mir auf. Waren meine Peiniger zurückgekommen? Plötzlich folgte dem unheimlichen Knistern und Rascheln ein Scharren, was stärker und stärker wurde und aus weiter Ferne hörte ich eine menschliche Stimme rufen, worauf dem Scharren ein anhaltendes, unaufhörliches lautes Bellen folgte. Ein großer Artgenosse, der mit seinem Menschen auf seinem morgendlichen Gassigang war hatte tief im Gestrüpp gestöbert und dabei wohl mein schwaches Winseln gehört. Da er die große Mauer, hinter der ich lag, nicht überwinden konnte bellte und scharrte er nun solange bis auch sein Mensch mein Wimmern gehört hatte. Aber seinem Menschen gelang es ebenfalls nicht zu mir zu kommen; die Mauer war auch für ihn zu hoch. Schnell holte er an einer nahegelegenen Baustelle, wo gerade Arbeiter mit einem großen Bagger zur Arbeitsaufnahme eintrafen Hilfe. Mit dem schweren Gerät und der großen Baggerschaufel, in die ein Mensch zu meiner Rettung gestiegen war, gelang es endlich die hohe Mauer zu überwinden. Nachdem man das dichte dornige Gebüsch auseinandergebrochen hatte, hob man mich vorsichtig heraus, hüllte mich in eine warme weiche Decke und leise sprach eine beruhigende Stimme zu mir: "Halte durch du armes kleines Wesen, du brauchst keine Angst zu haben, es wird dich niemand mehr quälen."
Dann wurde ich in ein Auto gelegt. Als man mit mir eine Zeit gefahren war, brachte man mich in einen hellerleuchteten Raum, wo Menschen weiß gekleidete wie Engel, meine großen Schmerzen linderten und mich in einen tiefen Schlaf versetzten. Ich war in einer Klinik. Hier versorgte man meine Augen, meinen Kopf, meine Beine, drahtete meinen Kiefer und versorgte die vielen anderen Wunden an meinem kleinen Körper. Wie lange ich in dieser Klinik geschlafen habe, weiß ich nicht mehr. Irgendwann aber wurde ich dort von fremden aber lieben Menschen abgeholt und kam in ein Heim, wo ich nun gut behütet vor den Bestien, die mich fast zu Tode geprügelt hatten, in Sicherheit war.
Mein grausames Schicksal hatte sich schnell herumgesprochen und so fand ich schon einige Tage später eine neue Familie, die mich zunächst für einen kleinen Mischling hielt. Ich sah so struppig und erbärmlich aus und meine Verletzungen waren so schwer, dass man erst später erkannte, dass ich in Wirklichkeit ein richtiger Pudel war. Meine neuen Menschen gaben mir ein liebevolles Zuhause und ließen mich weiter ärztlich versorgen. Tag und Nacht wachten sie nun an meinem weich gepolsterten Bettchen und bangten um mein Leben, was oftmals noch am seidenen Faden hing. Monatelang fütterten sie mich von Hand, denn alleine fressen und trinken konnte ich nicht, weil auch mein Zungenbein schwerste Verletzungen davongetragen hatte.
Heute nun lebe ich mit meiner neuen Familie weit, weit weg von dem Ort, wo man mich fast zu Tode knüppelte. In meiner neuen Heimat kann ich mich im Sommer an den bunten duftenden Bergwiesen erfreuen, wo ich demnächst herumtollen darf. Zu dieser Zeit aber sind die Wiesen wie die hohen Berge und tiefen Wälder, die unser kleines Tal
umschließen, mit den vielen vom Himmel tanzenden Schneeflocken weiß bedeckt und überall glitzern bunte Lichter an den Häusern, Tannen und Büschen. Es weihnachtet sehr.
Bald wird sich nun der Tag jähren, wo mein Schutzengel hinter einer hohen Mauer und einem dichten dornigen Gebüsch schützend seine Flügel über mich ausbreitete und mir die Kraft gab, damit ich alle die mir von meinen Peinigern zugefügten Qualen überleben konnte. Wenn auch die Arztbesuche noch ab und zu nötig sind und mir niemand mehr das verlorene Augenlicht eines meiner Augen zurückgeben kann, so habe ich mich inzwischen doch vom Schlimmsten erholt und erfreue mich jetzt eines glücklichen Pudellebens. Meine neue Familie liebe ich über alles und danke ihr täglich auf meine Art für alles was sie für mich getan hat. Ich danke aber auch allen Menschen die zu meiner Rettung beitrugen und den Pudelfreunden, die meiner neuen Familie und mir in der schweren Zeit, so hilfreich zur Seite standen. Insbesondere aber danke ich meinem großen vierbeinigen Freund, der durch sein morgendliches Stromern durch die vereisten dichten Büsche an der hohen Mauer, meine Rettung erst ermöglichte. Wäre er nicht gewesen, wäre ich heute vermutlich da, wo mich meine Peiniger hinhaben wollten – im Pudelhimmel. Meine schwere Zungenbeinverletzung hat sich übrigens so weit gebessert, dass man mich seit geraumer Zeit nicht mehr von Hand zu füttern braucht. Trotz meines Kieferbruches, dem einige Molare und Prämolare zum Opfer fielen, schleckere ich jetzt meinen Napf ganz alleine aus.
Inzwischen kann ich auch schon wieder etwas bellen, was durch meine Verletzungen bisher ebenfalls nicht möglich war und finde, wenn auch nur langsam, wieder Vertrauen zu den Menschen. Doch was man mir einst angetan hat werde ich nie vergessen können.
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